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Introspecting Institutions ist Weiterführung, Reflektionsmoment und Resonanzraum der Transkulturellen Akademie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Die Website führt Gedanken fort, die zwischen unterschiedlichen Teilnehmenden, Interessierten und Involvierten aufkamen. Introspecting Institutions entstand als Kommentar zur öffentlichen Versammlung Towards a Worlded Public, die im November 2022 im Japanischen Palais in Dresden stattfand. Sie kann zugleich als Schnittstelle zwischen verschiedenen Ausgaben gelesen werden. Die Transkulturelle Akademie dient als Ausgangspunkt, um von ihr ausgehend über die Infrastrukturen von Institutionen nachzudenken, durch die Transkulturalität erst öffentlich gemacht werden kann. Im Mittelpunkt stehen die infrapolitischen Resonanzen auf die Inhalte der Akademie, das heißt die informellen und internen Momente, mit denen innerhalb von institutionellen Infrastrukturen widerständiges und kritisches Potenzial entfaltet werden kann.

Der Begriff der Infrapolitik wurde in den 1990ern von James C. Scott ins Feld der Politikwissenschaften eingeführt. Mit Infrapolitik werden informelle, aber politisch wirksame Handlungen bezeichnet, die auf diese Weise Machtsysteme unterwandern. Der Kulturtheoretiker Alberto Moreiras bestimmt Infrapolitik darum als spezifische Form des Rückzugs aus dem politischen Feld: „what I call infrapolitics does not propose itself as a form of politics, but rather as a peculiar withdrawal or retreat from the political field, the retreat is still itself politically significant, and that such significance needs to be made explicit.“ Die Wirksamkeit des Infrapolitischen liegt also in seiner Mehrdeutigkeit. Denn diese „murky zone of ambiguous indistinction“ (beide: Moreiras 2021, 74) gibt Raum für Vernetzungen, Umwege, Mehrstimmigkeiten und Zerstreuungseffekte, die sich jenseits autorisierter Teilnahme-Möglichkeiten an politischen Ordnungen äußern. Infrapolitik findet unter, zwischen oder gerade inmitten von Staaten, Institutionen oder machtvollen Strukturen statt. Die Vorsilbe ‚Infra’ bezeichnet eben jenes ‚Darunter’, das auch für Infrastrukturen entscheidend ist. Infrapolitik mobilisiert eben diese Strukturen, verschiebt und verändert sie von innen heraus: Infrapolitik macht Infrastrukturen zu ihrem Medium.

Wenn mit der Transkulturellen Akademie also gefragt wird, wie Museen transdisziplinäre Forschungsprozesse sichtbar machen können – und mit ihnen vorherrschende Hierarchien in Bezug auf Perspektiven, Stimmen und Positionen ausgehebelt werden können –, wird damit nicht nur die eigene Verstrickung in die Kolonialgeschichte thematisiert. Ebenso wird nach der Institutionalisierung ihrer historischen Effekte und Strukturen von Öffentlichkeit gefragt; nach der Neu-Erzählung von Geschichte, der Pluralität von Geschichten und der kontinuierlichen Kommunikation mit einem Publikum, das als solches mit jedem Entwurf von Welt mitkonstruiert wird. Introspecting Institutions setzt an dieser Verschiebung bestehender Kategorien an, um die Ordnung und Vermittlung von institutionalisiertem Wissen und den mit ihnen artikulierten „worlded publics“ weiter in Frage zu stellen. Die Website nutzt bestehende Kategorien der Objekt-Klassifizierung der SKD, um aus ihnen heraus Fragen zu entwickeln, die infrapolitische Prozesse jenem institutionalisierten Wissen entgegenstellen. Sie setzen den Fokus auf Handlungen, die sich an der Schwelle zur Legitimität bewegen und damit grundsätzlich den Raum dafür öffnen, welchen Ordnungsprinzipien Legitimität folgt. Die Website adressiert in diesem offenen Raum der Frage das Informelle, Alltägliche, Beiläufige. Sie macht diese Dimensionen zu Hauptakteuren institutioneller Infrastrukturen und sieht in ihnen das Potenzial der Widerständigkeit. In diesem Sinne eröffnen die Fragen dieser Website Blickwinkel auf das Alltägliche und Implizite, das Teil der Politik von Infrastrukturen ist. Infrapolitik wird sowohl von Internen wie Externen ausgeführt, kann sowohl widerständig als auch regimetreu sein. Sie besitzt jedoch das Potenzial, Strukturen durch ihre eigenen Implikationen aufzuweichen oder umzuformen. Diese Potenziale liegen etwa in der Aufteilung von Arbeitsbereichen und Zuständigkeiten oder der Nutzung verschiedener Sprachen und Geräte. Infrapolitik entfaltet sich von innen heraus und spielt sich hinter den Kulissen ab, ist in ihrer Alltäglichkeit flüchtig und nie ganz greifbar. Sie spiegelt in ihrer Beiläufigkeit die Grenzen und Dynamiken von Systemen wieder, aber kann selbst nicht systematisch genutzt werden. Infrapolitik äußert sich weniger im akademischen Diskurs, als in der alltäglichen Diskussion; und verzichtet als eine solche Äußerung auf repräsentative Gesten und Setzungen.

Introspecting Institutions greift vor diesem Hintergrund einige der Kategorien auf, die ein Objekt in den SKD als Teil der Sammlung ausweisen: Präsenz, Standort, Titel und Material geben einerseits Auskunft über den Sammlungsgegenstand, andererseits aber auch über die Infrastrukturen, Zeiten und Wege, die mit ihm genutzt, durchschritten und zurückgelegt werden. Die Kategorien sprechen von territorialen Gebieten, virtuellen Räumen und gegenwärtigen Zuständen, sie adressieren und produzieren verschiedene Formen von Arbeit und Geschichte. Diese infrastrukturelle Konstruktion von Bedeutung möchte Introspecting Institutions aufbrechen, indem die Website Linearität und Hierarchisierung der mit den Kategorien entstehenden Ordnungen aushebelt. Was entsteht, sind Neu-Ordnungen systemisch angelegter Fragestellungen, die mit jeder Aktualisierung neue Fragen aufwerfen, andere Reihenfolgen herstellen und damit eine narrative Ebene herstellen, die sich durch die Nutzung der Seite kontinuierlich neu ausrichtet. Im Sinne von Ariella Aïsha Azoulays „Potential History“ (2019) wird die scheinbare Plausibilität einer historischen Ordnung in Frage gestellt, indem aus der Ordnung selbst heraus multiple Fragen entwickelt werden; die kategorische Sortierung verwandelt sich zum potentiellen, veränderbaren Arrangement. Die Website zielt demnach darauf ab, die Werkzeuge und Systeme, mit denen Institutionen operieren, selbst zu nutzen. Wie Nora Sternfeld mit ihrer Konzeption des „Para-Museums“ (2023) zeigt, können Institutionen exemplarisch eine Introspektion durchführen, sich selbst beobachten, indem ihre eigenen Mittel und Verfahren aus ihrer alltäglichen Nutzung heraus befragt werden. So können sie ein Speaking Back zu ihren Infrastrukturen formulieren, ein Zurücksprechen zu vorherrschenden Ordnungen im Sinne Sara Ahmeds, das durch konkrete, kleine Handlungen systemische Ausmaße adressiert. Ein solches Speaking Back spricht nicht über, sondern mit bestimmten Systemen; um schließlich genauer betrachten zu können, was Infrastrukturen in einer Vielzahl von Kontexten tatsächlich

Neben allen Teilnehmenden der Transkulturellen Akademie haben vor allem Doreen Mende, Petra Martin, Anna-Lisa Reith und Tanja Schomaker von den SKD die Recherchen zu diesem Projekt unterstützt und beeinflusst.

Bibliographie 

  • Sara Ahmed: Differences that Matter. Feminist Theory and Postmodernism. Cambridge 1998.
  • Sara Ahmed: Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others. London & Durham 2006.
  • Ariella Aïsha Azoulay: Potential History. Unlearning Imperialism. New York 2019.
  • Bassam El Baroni (Hg.): Between the Material and the Possible: Infrastructural Re-examination and Speculation in Art. Berlin: Sternberg Press 2022.
  • Berlant, Lauren: The commons: Infrastructures for troubling times*. In: Environment and Planning D: Society and Space, 2016, Vol. 34(3), 393–419.
  • Tom Holert / Doreen Mende / Volker Pantenburg Daniel Eschkötter Brigitte Weingart: INSTITUIEREN STATT INSTITUTIONALISIEREN: Zur Einrichtung des Harun Farocki Instituts. Zeitschrift für Medienwissenschaft, vol. 9, no. 17–2, 2017, 131–145. https://doi.org/10.14361/zfmw-2017-0214
  • bell hooks: Talking Back: Thinking Feminist, Thinking Black. Boston 1989.
  • Brigitta Kuster / Britta Lange / Petra Löffler: Archive der Zukunft? Ein Gespräch über Sammlungspolitiken, koloniale Archive und die Dekolonisierung des Wissens. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 20: Was uns angeht, Jg. 11 (2019), Nr. 1, 96–111.
  • Alberto Moreiras: Infrapolitics. A handbook. New York: Fordham University Press 2021.
  • James C. Scott: Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts. New Haven: Yale UP 1990.
  • Nora Sternfeld: Das Para-Museum und die Gespenster der Infrastruktur. In: Griesser-Stermscheg, Martina et al. (Hg.): Widersprüche. Kuratorisch handeln zwischen Theorie und Praxis. Wien 2023, 20–34.
  • Tiziana Terranova / Ravi Sundaram: Colonial Infrastructures and Techno-Social Networks. In: e-flux journal #123, December 2021.
  • James Voorhies: Lending Agency, Curating Institution: On Pedagofical Infrastructures. In: Martin Beck, Beatrice von Bismarck, Sabeth Buchmann, Ilse Lafer (Hg.): Broken Relations: Infrastructure, Aesthetics, and Critique. Leipzig 2022, 137–155.
  • http://infrapolitics.c4sr.columbia.edu/ (28.6.2023)

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